Gerade die zeremoniellen Reislöffel der Dan sind, wie die Masken, wichtige künstlerische Erzeugnisse, die nicht nur eine praktische, sondern manchmal auch eine soziale und zeremonielle Funktion erfüllen. Sie verkörpern bestimmte Geistwesen und sind eine Quelle spiritueller Kraft für ihre Inhaberin, die wunkirle. Im Folgenden möchte ich die Funktion des wa ke mia sowie anderer Löffel im gesellschaftlichen und spirituellen Leben der Dan beschreiben, besonders im Hinblick auf die Teilnahme der Frauen daran.
3.1 Praktische, soziale und zeremonielle Funktionen von Löffeln bei den Dan
Je nach ihrer Funktion haben die Löffel der Dan unterschiedliche Funktionen und Bezeichnungen:
a. Die mia nä, oder kleine Löffel sind Esslöffel für alte Leute. Sie sind klein geschnitten, damit man mit ihnen auch etwas flüssigere Nahrung wie Reis mit Sauce schlürfen kann. Die oval oder auch spitz auslaufende Laffe dieser Löffel is normalerweise ungefähr fünf bis acht Zentimeter lang. Die meist rund geschnitzten Griffe enden häufig in einem Ornament, als Kontrapunkt zur leicht gebogenen schaufelförmigen Laffe.
Diese Löffel werden als buchstäblich lebenswichtiges Kleinod gehütet und oft mit aussagekräftigen Kosenamen versehen. Beispiele dafür sind “Ich gebe dir keine Schuld (wenn ich beim Essen zu kurz komme)“ oder „Ich lasse dich mit meinen Kindern zurück“, was so viel heißt, dass der Löffel seinen Inhaber wohl überleben wird (Fischer u. Himmelheber 1990:28).
b. Als ya bo sie mia werden die Kochlöffel der Hauptfrauen bezeichnet, was „gekochter Reis teilen Feuer Löffel“ heißt. Diese Löffel sind normalerweise ungefähr 35 cm lang. Der Schaufel ist oval- und kahnförmig, der Griff ist handlich und endet oft in einem geschweiften Dreieck, einem Ring oder einem kleinen Kopf (Fischer u. Himmelheber 1990:29).
c. Die wa ke mia schließlich, „Fest handeln löffel“, sind die zeremoniellen Löffel der wunkirle. Die wa ke mia sind primär als Würdezeichen ihrer Besitzerin gedacht, was sich auch daran zeigt, dass sie meistens kaum Gebrauchsspuren zeigen (Fischer u. Himmelheber 1990:30). Diese Löffel sind ca. 40 bis 70 cm lang und etwas monumentaler als normale Gebrauchslöffel ausgestattet: Am Griffende befindet sich ein menschlicher Kopf, eine Hand oder ein Tierkopf, eine Schale oder ein Ornament. Die üblichste Darstellung ist die einer menschlichen Figur. Der Kopf wird dabei ähnlich dargestellt wie auf den sogenannnten deangle Masken der Dan. Oft läuft von der Stirn bis zur Nase ein vertikaler Strich der Tätowierungen darstellt, und quer über den Augen befindet sich häufig ein Band aus weißem Kaolin, ähnlich wie die Augenverzierung mancher Dan Frauen.
Der Kopf trägt meistens eine geschnitzte Frisur – häufig mit schwarzgefärbten Pflanzenfasern geschmückt – wie sie zur Zeit der Entstehung des Löffels gerade modisch war. Am Nacken sind oft dekorative Einkerbungen zu sehen, und vertikale Kerben an den Augenbrauen stellen die Gewohnheit der Dan dar, aus kosmetischen Gründen in einem ähnlichen vertikalen Muster Teile der Augenbrauenhaare auszuziehen. Eingekerbte Halsringe betonen das Schönheitsideal eines langen Nackens.
Das Gesicht am Löffel stellt in manchen Fällen offensichtlich eine spezifische Frau dar, und zwar die ursprüngliche Inhaberin des Löffels. Zu diesem Zweck werden außer dem Gesicht auch bestimmte körperliche Merkmale wie Tätowierungen oder Narben hervorgehoben (Fischer 1963:207).
Eine andere Art, den Löffel als menschliche Figur darzustellen, ist die Gestaltung des Griffs als ein Paar menschlicher Beine. Die Schaufel stellt dann den Oberkörper oder den Schoß einer Frau dar. Die Beine können auch die Menschen symbolisieren, die zu Fuß herbei eilen, um sich von der wunkirle ernähren zu lassen (Fischer u. Himmelheber 1990:38).
Andere Grifformen sind eine menschliche Hand, die sozusagen darstellen soll dass die wunkirle ‘alles im Griff’ hat, sowie Köpfe von Schafen, Ziegen oder Kühen, die entweder bestimmte Opfertiere oder die Aussteuer einer Frau symbolisieren sollen. Auch eine Schalenform, die Nahrung und Fülle symbolisiert, und mehr abstrakte Formen kommen vor (Fischer u. Himmelheber 1990:33).www.natsara.com
Im folgenden möchte ich die Funktion des wa ke mia und die Position seiner Inhaberin, der wunkirle, in den Zeremonien, der sozialen Ordnung und dem spirituellen Leben der Dan näher beschreiben.
3.2 Wa ke mia und wunkirle; die tüchtige und gastfreie Frau schwingt ihren Löffel
Der wa ke mia ist das Zeichen der Würde der wunkirle. Diese zeichnet sich aus durch ihre Tüchtigkeit und Großzügigkeit. Dies impliziert, dass der Löffel nicht bloß vererbt wird; wenn eine wunkirle alt wird, wählt sie ihre Nachfolgerin aus den jungen Frauen ihres Dorfes. Weil die Gesellschaft der Dan patriarchial ausgerichtet ist, und Ehefrauen normalerweise aus anderen Dörfern stammen, kann sie den Löffel nicht an ihre Tochter weitergeben, sondern nur an eine Frau, von der sie glaubt, dass sie die Großzügigste und Fleißigste ist. Die mit dem Amt der wunkirle verbundenen Pflichten sind, dass sie all ihren Gästen gegenüber gastfreundlich ist, und keine Gruppe zu groß ist, um ihnen ein Mahl zu bereiten. Rundreisende Musikgruppen oder Unterhaltungskünstler zum Beispiel, aber auch die Männer die die Feldarbeit machen, schauen bei ihr rein um sich von ihr speisen zu lassen. Auch während des Festivals bietet sie fremden Leuten ihre Gastfreundschaft an. Um sich dies alles leisten können, muss die wunkirle eine tüchtige Bäuerin sein, und auf die Mitarbeit ihrer Familie zählen können (Fischer u. Himmelheber 1990:33).
3.3 Wunkirle im Wettbewerb: wer ist die Gastfreundlichste im ganzen Land?
Während der Feste im Dorf wandert die wunkirle, gefolgt von Frauen aus der Nachbarschaft, mit dem Löffel durch das Dorf. Jede der Frauen trägt einen Topf mit gekochtem Reis oder Suppe. Die wunkirle verteilt das Essen entweder selbst unter den Gästen oder sie weist mit dem Löffel die Frauen an, dies zu tun. Während mancher Feste gibt es einen regelrechten Wettkampf zwischen mehreren wunkirlone eines Dorfes, wer am generösesten ist. Außer Reis und Suppe werden deshalb auch öfters Nüsse, Süßigkeiten und andere Leckereien verteilt, während die Frauen tanzen. Auch sie verteilen übrigens Geschenke, aber immer im Namen der wunkirle, der sie unterstehen. Manchmal zeigt sich der Status der wunkirle daran, dass ihre Nachbarinnen sie in einer Hängematte durch das Dorf tragen.
Weil nur die Gäste unparteiisch sind, entscheiden sie darüber, welche wunkirle die wohlhabendste und generöseste ist. Diese wird dann mit Liedern gefeiert (Fischer u. Himmelheber 1990:34-35).
3.4 Dü; die spirituelle Kraft der wa ke mia
Wenn eine alte wunkirle stirbt, wird aus diesem Anlass normalerweise ein Festival organisiert; einerseits um sie zu ehren, andererseits um eine Nachfolgerin zu inaugurieren. Die neue wunkirle muss jetzt beweisen, dass sie ihrem Amt würdig ist; die spirituelle Kraft ihres Löffels muss bekräfigt werden, indem sie den Dorfbewohnern und den auswärtigen Gästen eine beachtliche Menge Essen und Geschenke anbietet. Umgekehrt lässt die wunkirle sich auch von der Kraft des Löffels helfen. Diese Kraft, die als “dü” bezeichnet wird, ermöglicht es ihr, ihren Pflichten nachzukommen. Die wa ke mia stellen also einerseits die Verbindung ihrer Inhaberin mit der Geisterwelt da, sind aber andererseits auch das Symbol dieser Verbindung. Aus diesem Grund sagen die Dan, dass die wa ke mia für Frauen das Gleiche sind wie die Masken für Männer. Und wie die Masken erhalten die wa ke mia einen eigenen Namen wie zum Beispiel Piase („Feines Gesicht“) oder Mlanyor („Glückliche Frau“).
Die Löffel haben die Eigenschaft um, wie die Masken, im Traum mit ihrer Besitzerin zu sprechen. Letztendlich muss auch der Löffelgeist die wunkirle autorisieren, was letztendlich im Traum passiert. Umgekehrt muss, wenn ein alter wa ke mia von einem neuen ersetzt werden muss, auch die spirituelle Kraft des alten Löffels auf den neuen Löffel übertragen werden. Zu diesem Zweck finden dann gesonderte Opferzeremonien statt (Fischer u. Himmelheber 1990:36).