Wie alles anfing

Foto: Torsten Schmidt

Aufgewachsen bin ich auf dem Lande, geboren im April 1949. Die elterliche Metzgerei wollte ich nicht übernehmen, verbrachte eine ganze Zeit bei der Bundeswehr und nach dem Abitur aus dem Abendgymnasium in Oldenburg studierte ich schließlich in Bremen Rechtswissenschaften. Das Studium habe ich im Grunde nur mit den politischen Turbulenzen in den 70er Jahren erfolgreich überstanden.



1981 hatte ich mich als Anwalt niedergelassen und  war kurz danach ausschließlich als Strafverteidiger tätig. Seit 1990 war ich Sozius in einem großen Büro,-Anwaeltinnenbuero -das bis heute in wechselnder Beteiligung und in fachanwaltlicher Spezialisierung arbeitet. In den 2010er Jahren war ich wiederholt zu den TOP 100 Strafverteidigern des FOCUS auserkoren worden. Ich habe meine Lizenz zum 31.12.2018 zurückgegeben.

Schon in den 80er Jahren verbrachte ich meine Urlaube überwiegend arbeitend in einem kleinen Bergdorf in Norditalien: Formine! Eine Bremer Enklave! Als Mitglied des dort tätigen Vereins wurden die Aufenthalte seit 1990 dann häufiger. In dieser Zeit wurde es zu einer Gepflogenheit, dass ich mit den Kindern aus dem Dorf die Utensilien für das Abenteuerspiel im Wald herzustellen hatte: Speere und Holzmesser. Auch aus den Nachbardörfern kamen die Kinder: „Horst, kannst Du mir auch ein Messer schnitzen?“ Das sprach sich offenbar schnell herum. Die Kinder wurden mehr, die Mitarbeit umfänglicher und die Begeisterung der Kinder nahm stetig zu. Ich meine, in dem einen Sommer 42 Messer geschnitzt zu haben. Jan, ein Niederländer von 8 Jahren, mit dem die Verständigung eher schwer war, aber für den Wunsch ein Messer zu bekommen, reichte es. Jan besuchte mich ein Jahr später wieder dort mit seiner Mutter. Er hatte das Messer inzwischen mit Buntstiften angemalt und seine Mutter berichtete, er habe in seinem Bett ein Extrakissen für das Messer liegen, in das er beim Zubettgehen eine Kerbe schlug, um das Messer dort auf Augenhöhe abzulegen. Er war so stolz auf das auch mit seiner Hilfe fertiggestellte Messer. Da lachte auch mein Herz.

Zu meinem 32. Geburtstag bekam ich ein kleines Schnitz-Set geschenkt. So ein Schülerset mit 3 Messern und zwei kleinen Hohlbeiteln, einer gekrümmt. Damit fertigte ich sodann aus dem Holz der Haselnuss ein kleines Salatbesteck mit Gabel und Löffel. Dann wollte ich mal einen Löffel für unsere  Großküche schnitzen. Der Stiel war der Größe unserer Töpfe angepasst lang, die Laffe fiel etwas kleiner aus. Dieter meinte dann, es gebe bei den Köchen so etwas wie einen Probierlöffel. Dafür schien er geeignet. Eine neue Tradition war erfunden: Das Narrativ vom  Probierlöffel!

Nun waren es die die Eltern der mit Messern ausgestatteten Kinder: „Horst, kannst Du mir auch so einen Löffel schnitzen?“ So fing das eigentlich an. Als ich dann den 3. Löffel in Formine zu schnitzen begann, stand ich auf der Terrasse, mir gegenüber mein Freund Uwe, rechts von mir Dieter, links Thomas – alles „Berufskritiker“ und Kulturschaffende im weitesten Sinne- unter uns der Lago Maggiore, hinter mir der Alpenhauptkamm. Ich mit einem Stück Holz und einem Schnitzmesser in der Hand bei der Gestaltung des Löffels: „Uwe, Du bist mein bester Kumpel, wenn ich mich mit dem Löffelschnitzen zum Deppen mache, dann sagst Du mir Bescheid.“ Darauf Dieter: „Was heißt hier Deppen, das sind die ‚Neuen Naiven‘, die sind schwer im Kommen.“ Daraufhin Thomas: „Die ‚Neuen Naiven‘ ist auch nur ein anderes Wort für Deppen!“ Das konnte Dieter so nicht stehen lassen: „Mach weiter! Wenn Du 10 Jahre Löffel schnitzt, veranstalte ich eine Ausstellung mit Dir.“

Auf Anraten von Dieter habe ich dann versucht von Anfang an mit Fotos und Geschichten zu dokumentieren, welche Löffel aus welchem Holz, mit welcher Geschichte dahinter, wann und wo angefertigt wurden. Auch wenn das nicht immer so konsequent eingehalten wurde, das „Werkverzeichnis“ umfasst inzwischen 10 Din A4 Bände mit 1017 dokumentierten Löffen (23.11.24) –kleine, gerade, große, krumme, schwarze, bunte, dicke und dünne Löffel; ein Querschnitt auch durch die Kulturgeschichte des Löffels. Ein Löffel mit einer Abmessung von über 2 m hängt an der Decke unseres Wohnzimmers. Der Größte meiner Löffel maß 2,64 m und stand in unserem Kleingarten. Nach Aufgabe der Parzelle wurde der Löffel entwendet. Für die 400 Jahr-Feier des Hafens von Vegesack habe ich dann noch einmal so große Löffel geschnitzt und dazu das Narrativ von Vegesack kreiert (siehe auch Vegesacker Heringslöffel).
Ausstellungen habe ich 1996 zusammen mit der Malerin Dorothe Wagner im Presseclub in Bremen und dem Schloss Hallburg in Volkach gemacht. Dorothe Wagner beschäftigte sich mit dem Thema „Speisen“ und stellte überwiegend Löffelbilder aus. Im Dezember 2017 erschien im Weser-Kurier ein ausführlicher Artikel über mich und meinen Löffeln. Am 04. Juni 2022 beteiligte ich mich an deiner Gruppenausstellung in Riede. Seit 2019 bin ich Mitglied der Bremer Gruppe „Kunstwerk im Viertel“ und beteilige mich an deren regelmäßigen Ausstellungen. Seit Mai 2024 bin ich nun auch Mitglied des Vereins Angewandte Kunst Bremen und freue mich zukünftig auch an deren Ausstellungen teilnehmen zu können

Warum schnitzt Du Löffel – wie kommst Du darauf? Eine häufige Frage: Ich wollte mal was Praktisches für die Küche machen.
Der typische Baule (Stamm in Westafrika) beantwortet die Frage nach Hans Himmelheber (Ethnologe) dahingehend: Es wohnt kein anderer Schnitzer im Umkreis, die Verdienstmöglichkeiten sind dadurch nicht schlecht. Das mache ich mir gerne zu eigen!
Die Schnitzer in Guinea-Bissaui schnitzen Löffel, weil sie damit um die Braut werben. Sie legen der Angebeteten einen kunstfertig geschnitzten Löffel vor die Tür. Teilt die Auserwählte die Auffassung von der außergewöhnlichen Qualität der Schnitzarbeit, dann ist der Bewerber zumindest noch nicht raus aus dem Rennen. Stimmen auch seine sonstigen Qualitäten als Mann, dann könnte ihn die Wahl treffen.
Ganz große Schnitzkünstler sind die Dan, sie leben auch in Westafrika. Sie stellen ihre Schnitzarbeiten her – auch die sehr bekannten Löffel der Wunkirle – wann immer ihr Herz sie dazu drängt (Hans Himmelheber). Ein Zeremonienlöffel der wichtigsten Frau im Dorf, die für die Bewirtung der Gäste zuständig war.

Ich schnitze Löffel, weil ich mir die Zeit dafür nehme und gerne handsame Gegenstände auch für den praktischen Gebrauch herstellen möchte. Buten un binnen hatte unter dem Titel, „Was macht eigentlich Horst Wesemann“ am 13.05.2018 meine Aktivitäten bis dahin auch hinsichtlich der Löffel zusammengefasst. Insgesamt hat der Löffel eine hervorragende Bedeutung:  Der Löffel begleitet uns das gesamte Leben: Es ist das erste und das letzte Besteck, das wir in die Hand nehmen, bis wir den Löffel abgeben. Mit der Zeit ist daraus eine tiefe Leidenschaft geworden, die auch den theoretischen Teil des Löffels und die Kulturgeschichte des Speisens mit einschließt.

Die Seite insgesamt gibt hoffentlich davon einen kleinen Einblick. Viel Spaß!