Ich habe ein wunderschönes Stück altes Holz von Niklas erhalten, der dieses am Strand der Insel Fünen in der dänischen Ostsee gefunden hatte. Ein Stück Holz, von den Wellen getragen, von Sand und Zeit geschliffen, rund geworden wie ein Stein. Jahrhunderte hat es im Atem des Meeres gelegen, bis es seine Ecken und Kanten verlor. Nun ruht es glatt und sanft in der Hand – ein stilles Zeugnis dafür, dass selbst das Härteste sich der Geduld von Wasser und Wind beugt. Danke an den Finder und Spender Niklas.
Es handelt sich um alte, tief geschwärzte Eiche, die an das Erscheinungsbild einer Mooreiche erinnert. Diese Eichenstämme, die über einen Zeitraum von Jahrhunderten oder Jahrtausenden in Mooren oder im Wasser gelegen haben verfärben sich durch eine Reaktion von Eisengerbstoffen im Stamminneren und verändern ihre physikalischen, chemischen und strukturellen Eigenschaften. Die durchgehende schwarze Farbe des Holzes lässt auf ein Alter von über 1.000 Jahren schließen. Das Holz ist so schwer, dass es nicht schwimmt. Solches Holz trägt das Gedächtnis der Erde in sich.
Die Form entspricht der Planke eines Holzschiffes wie abgebildet. Da seit spätestens Ende des 8. Jahrhunderts Wikinger regelmäßig in der Ostsee aktiv waren– sowohl als Plünderer als auch als Händler, Siedler und nicht zuletzt als gefürchtete Krieger besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass es sich dabei um die Planke eines Wikingerschiffs handelt. Nach Einschätzung des Vikingeskibsmuseet (Historisches Museum) in Roskilde handelt es sich wahrscheinlich um ein Schiff der Ladby-Serie, welches seit 904 n.Chr. als verschollen gilt.
Für den Schiffbau nutzten die Wikinger vor allem Eichenholz für die Bordwände, da es hart, widerstandsfähig und langlebig ist. Kiefer und Esche ergänzten den Bau: Kiefer für Masten und Spanten, Esche wegen ihrer Zähigkeit für das Ruder. Diese Kombination machte die Schiffe zugleich robust und flexibel – perfekt geeignet für Atlantik, Nordsee und Flüsse.
Doch dieses Stück erzählt mehr. Die gebogene Form der Planke lässt vermuten, dass sie einst zu den vorderen, kürzeren Hölzern des Schiffsrumpfes gehörte. Auf seiner Oberfläche sind Spuren einer Axt eingeschrieben – als Narben einer vergangenen Gewalt. Das Schiff wurde absichtlich beschädigt und dadurch zum Sinken gebracht. Vielleicht war es das Ende eines Gefechts: Gegner, die den Wikingern auf See überlegen waren, raubten, was von Wert war, und versenkten es. Über das Schicksal der Besatzung lässt sich nur mutmaßen – vielleicht fanden sie den Tod, vielleicht wurden die Überlebenden in die Sklaverei verschleppt.
Wer aber konnte es wagen, die gefürchteten Nordmänner anzugreifen? Auch diese waren nicht unbesiegbar. Stürme, Hunger, Krankheit – oder der Hinterhalt anderer Seeräuber – konnten sie zu Fall bringen. Möglich, dass es Seeräuber aus der Nordsee waren, die von Skorbut geschwächte Wikinger überraschten – Skorbut, die „Seefahrerkrankheit“, galt lange als der härteste Feind auf hoher See.
Nun liegt diese schwarze Planke in meinen Händen, schwer vom Gewicht der Zeit. Aus ihr habe ich einen Löffel geschnitzt – nicht zum Essen, sondern als Gefäß für die Erinnerung. Ein Löffel, der nicht den Hunger stillt, sondern die Geschichten nährt, die uns mit der Tiefe der Vergangenheit verbinden.
Horst Wesemann und KI